Aktuelles

17. Juli 2023

Keine feste Sperrzeit zwischen Aufklärung und Einwilligung

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seinem Urteil vom 20.12.2022 (Az. VI ZR 375/21) die Eigenverantwortung des Patienten im Rahmen der ärztlichen Aufklärung betont. Demnach besteht grds. keine feste Sperrzeit zwischen Aufklärung und EInwilligung, deren Nichteinhaltung zwingend einer ordnungsgemäßen Aufklärung entgegenstünde.

Der in dem Verfahren klagende Patient litt an chronisch rezidivierenden Ohrentzündungen und Paukenergüssen und begab sich im Hinblick auf eine mögliche Ohroperation (Mastoidektomie) in die beklagte Klinik. Am 1. November 2013 wurde der Patient über die Risiken des beabsichtigten Eingriffs aufgeklärt. Im Anschluss an das Aufklärungsgespräch unterzeichnete der Patient das Formular zur Einwilligung in den ärztlichen Eingriff. Am 4. November 2013 wurde der Kläger stationär aufgenommen und der Eingriff durchgeführt. Nachdem während der OP Komplikationen aufgetreten waren, erhob der Patient Klage gegen das Krankenhaus u. a. mit dem Vorwurf, er sei unzureichend aufgeklärt worden.

Nachdem die Vorinstanzen eine fehlerhafte Aufklärung noch bejaht hatten und hierbei nicht auf deren Inhalt, sondern darauf abgestellt hatten, dass dem Patienten unter Verstoß gegen § 630e Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BGB keine Bedenkzeit zwischen der Aufklärung über die Risiken des Eingriffs und seiner Entscheidung über die Einwilligung in den Eingriff eingeräumt worden sei, entschied der BGH gegen den Patienten. Der Patient muss nach ständiger Rechtsprechung so rechtzeitig aufgeklärt werden, dass er durch hinreichende Abwägung der für und gegen den Eingriff sprechenden Gründe seine Entscheidungsfreiheit und damit sein Selbstbestimmungsrecht in angemessener Weise wahrnehmen kann. Entscheidend ist, ob der Patient unter den jeweils gegebenen Umständen ausreichend Gelegenheit hat, innerlich frei darüber zu entscheiden, ob er sich der beabsichtigten medizinischen Maßnahme unterziehen will oder nicht. Zu welchem konkreten Zeitpunkt ein Patient nach ordnungsgemäßer Aufklärung seine Entscheidung über die Erteilung oder Versagung seiner Einwilligung trifft, ist dann seine Sache. Wünscht er noch eine Bedenkzeit, so kann von ihm grundsätzlich erwartet werden, dass er dies gegenüber dem Arzt zum Ausdruck bringt.

Die Entscheidung betont in begrüßenswerter Weise die mit dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten einhergehende Eigenverantwortung des Patienten bei Einwilligung in einen ärztlichen Heileingriff. Es kann von ihm grundsätzlich verlangt werden zu offenbaren, wenn ihm der Zeitraum für eine besonnene Entscheidung nicht ausreicht. Tut er dies nicht, so kann der Arzt grundsätzlich davon ausgehen, dass er keine weitere Überlegungszeit benötigt. Etwas anderes gilt insbesondere, wenn der Patient nicht mehr in der Lage ist, eine eigenverantwortliche Entscheidung zu treffen, oder wenn er vom Arzt zu einer Entscheidung gedrängt wird.

RA Christian Heß
​Fachanwalt für Medizinrecht

Informiert bleiben

Mit unserem Newsletter möchten wir Sie in regelmäßigen Abständen über Aktuelles aus der Rechtsprechung und über gesundheitspolitische Themen nicht nur informieren, sondern diese auch kommentieren. Wir würden uns freuen, wenn wir Ihr Interesse geweckt haben.